Deutschland der kranke Mann Europas?

Die anderen großen europäischen Volkswirtschaften wachsen viel schneller als Deutschland. Hat Deutschland überhaupt noch eine Chance?

Deutschland der kranke Mann Europas?
Photo by Sebastiano Piazzi / Unsplash

25 Jahre nachdem Deutschland schon mal als kranker Mann Europas tituliert wurde, scheint es, als wäre das Land wieder an gleicher Stelle. Andere europäische Wirtschaften wachsen schnell, Deutschland selbst befindet sich seit zwei Jahren entweder in einer Rezession oder einer Stagnation. Die Daten sprechen erst mal für sich selbst:

Während Deutschland seit dem Ende der Corona Pandemie auf der Stelle tritt, können die anderen großen Volkswirtschaften Europas ganz andere Zahlen vorweisen. Frankreich, Italien und vor allem Spanien wachsen in den letzten Jahren viel schneller und haben nicht mit einer Stagnation zu kämpfen.

Doch woran kann das liegen? Einerseits wurde Deutschland sehr hart durch die Energiekrise getroffen. Steigende Energiepreise und die begleitende Inflation haben aber jeden getroffen. Eine andere Vermutung wäre die Verschuldungsrate zu betrachten. Vielleicht ist dieses Wachstum ja finanziert auf Pump? Dafür betrachten wir die Entwicklung der Schuldenquote für diese Länder im gleichen Zeitraum.

Hinweis: Die folgende Analyse dreht sich stark um die sogenannte Schuldenquote. Diese Quote ist die korrekte Weise, wie man über Schulden diskutieren sollte, anders als die absoluten Zahlen. Wenn du mehr Einblick haben willst, wie die Schuldenquote sich berechnet und warum es die korrekte Art ist über Staatsverschuldung zu sprechen, schau gerne hier rein.

Hier kann man sehen, dass sich alle 4 Länder in den letzten Jahren entschuldet haben. Auffällig für Italien und Frankreich ist, dass diese seit 2023 wieder effektiv Schulden aufbauen, indem sie die Schuldenquote erhöhen, trotz Wirtschaftswachstums. Das lässt zumindest etwas darauf schließen, dass das Wirtschaftswachstum dieser beider Länder sich über erhöhte Staatsausgaben teilweise erklären lässt.

Auch Spanien, das die letzten Jahre exzellent dasteht, hat seit 2023 seine Staatsausgaben erhöht. Das Wirtschaftswachstum ist mittlerweile größer als die Entschuldung, was auch auf gestiegene Staatsausgaben schließen lässt. In Spanien führt das dank der fabelhaften Zahlen immer noch zu einem effektiven Schuldenabbau.

Deutschland hingegen stagniert im Wirtschaftswachstum, baut jedoch immer die Schuldenquote ab. Hier stellt sich natürlich die Frage, ob in dieser Zeit der multiplen Krisen, eine Investitionsstrategie nicht vernünftig wäre. Doch hat Deutschland überhaupt die Kapazität Investitionen zu tätigen? Schauen wir doch mal wie viel Schulden Deutschland im Vergleich zu diesen Nationen hat:

Deutschland ist offensichtlich das mit Abstand am wenigsten verschuldete Land unter den großen Volkswirtschaften der EU. Das zeigt, wie groß das Potential für Deutschland ist, um Investitionen in dieser schwierigen Lage zu stemmen.

Nur um es bildlich zu machen, über welches Potential hier gesprochen wird: Falls Deutschland eine Investitionsoffensive ausrufen würde und eine gigantische Summe von einer Billion über die nächsten vier Jahre investieren möchte in z.B. Zukunftstechnologien, Bildung und Wirtschaft, erhöht sich die Schuldenquote rechnerisch um maximal 24%. Realistisch gesehen steigt sie viel weniger an, weil das BIP in den nächsten vier Jahren durch Inflation und hoffentlich angestoßenem Wirtschaftswachstum auch wachsen wird, was die Schuldenquote wieder senkt.

Diese Mehrverschuldung, selbst wenn sie wirklich die simpel berechneten 24% beträgt (realistischer wäre ein einstelliger Betrag, der im Fall von klugen Investitionen sogar auf Dauer negativ werden könnte), würde die deutsche Staatsverschuldung nur auf 87% anwachsen lassen. Meilenweit entfernt von den anderen großen Volkswirtschaften.

Deutschland hat also alle Mittel in der Hand, um aus der schlechten Lage rauszukommen, falls Geld klug investiert wird, werden wir auch nicht zum kranken Mann. Und die Möglichkeiten sind offensichtlich gegeben. Auf das Thema Schuldenbremse, das hier natürlich auch relevant ist, möchte ich an dieser Stelle nicht all zu tief eingehen. Trotzdem sind auch hier mittels Werkzeuge wie der Konjunkturkomponenten dem Staat nicht die Hände gebunden. Dennoch sollte sich nicht vor einer potenziellen Reform der Schuldenbremse verschlossen werden.

Eingangs wurde der Bogen 25 Jahre zurück gespannt mit der Frage, ob Deutschland wieder der kranke Mann Europas ist. Hier hilft zur Einordung ein Blick auf die Entwicklung der bereits verwendeten Zahlen über einen längeren Zeitraum. Also wie haben sich Schuldenquote und Wirtschaftswachstum entwickelt im Vergleich zu vor 25 Jahren?

Dieser erweiterte Blick nimmt schnell die Brisanz aus der Frage. Ja, die letzten Jahre liefen suboptimal, auch weil Deutschland z.B. extrem hart durch die Energiekrise getroffen wurde. Aber im langen Vergleich sehen wir, dass Deutschland anders als die anderen Volkswirtschaften kaum an Neuverschuldung dazugewonnen hat und langfristig auf ein stabiles Wachstum zurückblicken kann. Jetzt gilt es, durch kluge Investitionen in die Wirtschaft, Infrastruktur und Bildung wieder ein ähnliches Wachstum zu generieren.